Roman Ritter: Das Bürofenster

1 Ich drehe mich am Schreibtisch um
2 und sehe durch das Fenster
3 ein paar Kastanienäste,
4 ein Stück Rasen mit Buschwerk
5 und den Stamm einer Linde.

6 Ich gehe zum Fenster
7 und sehe draußen die Linde,
8 die Äste leicht vom Wind bewegt,
9 den Rasen, der so grün ist,
10 dass man beinah lachen muss,
11 und die große Kastanie, durch deren Blätter
12  man in die Sonne sehen kann.
13 Dort drüben blüht ein Busch.

14 Ich öffne das Fenster und lehne mich hinaus,
15 spüre die Wärme und rieche den Flieder.

16 Auf diesen Rasen,
17 der sicher weich ist wie ein Fell,
18 könnte man sich in die Sonne legen,
19 lesen,
20 herumschmusen,
21 nichts tun,
22 essen,
23 Fußball spielen.

24 Der Chef sieht nicht gern,
25 wenn man am Fenster steht und hinausschaut.

26 Ich gehe zu meinem Schreibtisch zurück.

27 Wenn der Hausmeister die Hecke beschneidet
28 kann man von den herabgefallenen Zweigen
29 ein paar in die Vase stellen,
30 die auf dem Büroschrank steht.

Arbeitsauftrag: Analysieren und Interpretieren Sie das 1978 veröffentlichte Gedicht von Roman Ritter und vergleichen Sie es mit Joseph von Eichendorffs "Sehnsucht". Bedenken Sie vor allem die Fenstersymbolik, das Naturverständnis und das Autonomiekonzept, das in der Wahrnehmung des lyrischen Ichs zu erkennen ist.

Hinweis: Vergleiche zwischen Gedichten der Moderne und der Romantik (aber auch Klassik) sind beliebte Abituraufgaben, vor allen im Mündlichen, da kursübergreifend und zeitlich machbar.


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