klassisch

[...] histor.: bezogen auf antike Autoren und Künstler und ihre Werke, weiter auf die antiken Sprachen (Griech., Lat.) und auf die Wissenschaft, die sich mit diesen beschäftigt (k.e Philo-logie, k.e Altertumswissenschaft [...])
analog: schöpfer.: orientiert an antiken Stil- und Formmustern, an antiker Thematik und Gei-stigkeit, an einem antiken Schönheitsbegriff des Maßes, der Harmonie, der Geschlossenheit, Einheit und Ausgewogenheit. [...]
ästhet. wertend: vorbildhaft, mit kanon. Geltung für nachfolgende Dichter- und Künstlergene-rationen. [...]
allgemein wertend: im Sinne von erstrangig, mustergültig, grundlegend-überzeitl.; übertragen auch auf nichtliterar. und nichtkünstler. Autoritäten, Vorbilder und Normen. [...] – Ähnlich wird auch das Substantik Klassiker verwendet: antiker Klassiker, Weimarer Klassiker, Klas-siker der Operette, des Jazz usw. [...] Das Wort >Klassiker< kann sowohl eine Person als auch ein Werk meinen.

aus: Metzler-Literatur-Lexikon: Begriffe und Definitionen. 2. überarb. Aufl. Stuttgart: Metzler 1990.   

Epochenüberblick: Klassik (1786-1805)

Jede europäische Nationalliteratur hat ihre klassische Phase. Man versteht darunter die Peri-ode, in der in dichter Fülle und reicher Entfaltung von Rang erscheinen, die prägende Wir-kung auf die Kultur des Landes und internationales Ansehen gewinnen. Diese Zeiten eines literarischen Höhenkamms fallen in den verschiedenen Ländern in ganz unterschiedliche Epochen. In Italien ist es die Renaissance mit ihren Nachwirkungen (1300-1600), eingerahmt von den Dichtern DANTE und TASSO; in England ist es das sog. elisabethanische Zeitalter (16. Jahrhundert) mit dem alles überragenden WILLIAM SHAKESPEARE; in Frankreich schließlich ist es das 17. Jahrhundert um das Dreigestirn CORNEILLE, RACINE und MOLIÈRE. Die deutsche Klassik weicht von den genannten europäischen Pendants auf dreifache Weise ab: Sie kommt mit deutlicher zeitlicher Verzögerung, sie umfasst nur einen sehr kurzen Zeitraum, nämlich den von 1786 (GOETHES Italienreise, die zu dessen Neuentdeckung der Antike führte) bis 1805 (Tod SCHILLERS), und sie bleibt auf die Werke dieser beiden Autoren beschränkt. Gleichzeitig entstandene Produkte anderer Schriftsteller (Wieland, Hölderlin, Jean Paul, Kleist) werden von der Literaturgeschichtsschreibung in der Regel der Aufklärung oder der Romantik zugeordnet. Aber auch das Frühwerk Goethes und Schillers, das zum Sturm und Drang gehört, ebenso wie das Spätwerk Goethes fallen nicht unter die Klassik und ihr Litera-turkonzept, das die beiden Dichter in zeitweiliger Zusammenarbeit in Weimar entwickelten.
In deutlicher Abkehr von ihren Sturm-und-Drang-Idealen hießen die neuen Wertmaßstäbe Maß, Gesetz und Formstrenge. Der Natur-, Gefühls- und Geniekult wurde aufgegeben zu Gunsten einer Neuorientierung auf Vernunft, Selbstzucht und sittliche Läuterung des Men-schen hin. Die allseits gebildete, alle humanen Kräfte und Fähigkeiten harmonisch in Ein-klang bringende Persönlichkeit im Dienste der gesamten Menschheit schwebte den Klassikern das Ergebnis ihrer literarischen Bildungsarbeit vor. Ihr ästhetisches Programm war, wie das der Aufklärung, Erziehungsprogramm, aber nicht im Sinne direkt belehrender Ansprache an Verstand und Einsicht zur Erweiterung der Kenntnisse und zur Anleitung vernünftigen Han-delns. Vielmehr ging es darum, das vollendet Schöne zu formen, weil durch die Anschauung des wahrhaft Schönen der Mensch zum Wahren und Guten, zur Veredelung seiner Den-kungsart uns seines Charakters gelangt. Schönheit wird als Harmonie zwischen dem Sinnli-chen, das der Triebwelt zugehört, und dem Gesetz der Vernunft, das Freiheit bedeutet, ver-standen. Es geht in den Werken der Klassik nicht um die Abbildung der Lebenswirklichkeit, um Wiedergabe eines gemütserregenden Erlebnisses, aber auch nicht um die kunstreiche Ein-kleidung eines Lehrsatzes oder einer Moral, sondern es geht um die Wahrheit. Sie erfährt der Mensch nach klassischer Theorie, wenn er in der sinnlich wahrnehmbaren individuellen Er-scheinung durch künstlerische Gestaltung das Allgemeine erkennt, wenn andererseits dem Allgemeinen, also der Idee oder einem Prinzip, durch die individuelle Gestalt des sinnlich erfahrbaren Kunstwerks Leben verliehen wird.
Die Vorbilder für die Harmonie vollendeter künstlerischer Gestaltung sahen die deutschen Klassiker in den Werken der griechischen Antike. Die freien Rhythmen und die auf individu-ellen Ausdruck bedachte Prosasprache des Sturm und Drang wich metrisch regelmäßig ge-bauten Versen und einer nach strengen Kunstgesetzen durchformten Sprache.
Die Abwendung von der Wirklichkeit hin zum Reich der Utopie des ewig Wahren, Guten und Schönen und das Konzept der ästhetischen Erziehung zur Veredelung des individuellen Cha-rakters hatte einen ganz wesentlichen Grund in der Enttäuschung über die von Gewalt und Krieg geprägte Entwicklung der Französischen Revolution, deren Beginn die bürgerlichen deutschen Dichter mit Interesse und Anteilnahme verfolgt hatten. In einer politischen Umwäl-zung solcher Art vermochten sie kein Heil mehr für die durchaus als bedrückend empfunden gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland zu sehen.

aus: Texte, Themen und Strukturen, Berlin: Cornelsen 1999, S. 242f.