Die
Doppelausstellung „Das Porträt im XX. Jahrhundert”, in der das Deutsche
Historische Museum Berlin Fotografien aus seiner eigenen Sammlung mit
einer Hommage an das Bonner Atelier Schafgans kombiniert, beginnt mit
Familienfotos aus der deutschen Kaiserzeit. Man sieht Babys,
Kleinkinder, Konfirmanden, Soldaten, Hochzeitspaare, Eheleute samt
Nachwuchs und Greise, die für die Kamera strammstehen und -sitzen,
immer in den gleichen Posen, mit oder ohne Requisit, im schrägen Licht
der Ateliers. Strenggenommen haben diese Aufnahmen in der Ausstellung
nichts zu suchen.
Bilder, in denen man ein Leben lesen kann
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Willy Brandt (1913 - 1992), Parteivorsitzender der SPD, 1976
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Es sind keine Porträts,
sondern Repräsentationsbilder, in Massenfertigung entstanden, Paßfotos
von damals. Was es bedeutet, ein Individuum, selbst ein unreifes, zu
porträtieren, erkennt man dagegen einige Stellwände weiter in den
Fotografien, die Katharina Vogel im Jahr 1990 von Heimkindern aus der
DDR gemacht hat. Wut, Trotz und Hoffnung malen sich auf jedem dieser
Jungengesichter in je verschiedener Mischung und Färbung, und die
Haltung der Oberkörper setzt die Rede des Mienenspiels fort. Es sind
Bilder, in denen man ein Leben lesen kann, wie in allen Porträts, die
diesen Namen verdienen.
Von
Katharina Vogels Aufnahmen fällt der Blick zurück auf ein erstaunliches
Familienfoto, das vor 1914 im Atelier Selle, Kuntze und Niederastroth
von dem deutschen Kaiser Wilhelm II. und seinem Enkel Prinz Louis
Ferdinand entstand. Es zeigt die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen,
eines vormedialen und eines unverkrampft medialen Bewußtseins. Denn
während Wilhelm trotz aller Bemühung, sich einen familiären Anstrich zu
geben, nicht aus seiner Herrscherpose herauskommt, lehnt sein Enkel so
locker und unprinzlich am kaiserlichen Großvater wie ein Sechsjähriger
von heute.
Imposanz großer Themen und Zeiträume
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Richard von Weizsäcker (*1920), Bundespräsident, 1984
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Knapp fünfzig Jahre später
stellt sich in Paris der kurz vor dem literarischen Durchbruch stehende
Günter Grass mit seinem kleinen Sohn in einem ähnlichen Arrangement vor
die Kamera. Hier ist es, in einer interessanten Umkehrung der
Blickhierarchie, wieder der Vater, der die Aufnahme dominiert; er zieht
den Sohn ins Bild, aus dem dieser zu entfliehen versucht. Die Hand, die
den Jungen umfaßt, soll zärtlich wirken, aber ihr Griff ist
entschlossen und fest.
Dies
ist nicht die erste Ausstellung im DHM, deren Konzeption hinter den
gezeigten Exponaten zurückbleibt. Wieder einmal setzt das Museum auf
die Imposanz großer Themen und Zeiträume, um einen Überblick zu
suggerieren, der in der Präsentation dann in viele kleine Fußnoten und
Apercus zerrinnt. Das zwanzigste Jahrhundert ist ein weites Feld, auf
dem sich viele Ästhetiken und Ideologien tummeln, von denen man in der
Berliner Schau immer nur ein Zipfelchen zu sehen bekommt. Was man etwa
aus einer Fokussierung auf die Zeit vor 1945 hätte machen können, zeigt
die Gegenüberstellung einiger Porträts von August Sander aus den
zwanziger Jahren mit den wenig später entstandenen Reportagefotos von
Walter Ballhause.
Von Provinz zu Provinz für die Nazis
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Gert Fröbe (1913 - 1988), Schauspieler, 1979
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Während Ballhause die
Verlierer der Gesellschaft - einen Kriegsversehrten, eine alte Weberin
- dort porträtiert, wo er sie auf den Straßen Hannovers findet,
inszeniert Sander die Maler Otto Dix und Anton Räderscheidt als
Gestalten eines zeitgenössischen Großstadtfilms. In beiden Fällen
triumphiert das Typische, aber bei Sander wirkt es wie eine Rolle,
nicht wie ein Schicksal; es hat einen Beigeschmack von Ironie. Ein ganz
anderes Aroma weht aus den Bildfolgen von Erna Lendvai-Dirksen, die in
den dreißiger Jahren „Das deutsche Volksgesicht” von Provinz zu Provinz
für die Nazis durchfotografierte.
Wenn
man länger hinsieht, entdeckt man freilich, daß das Völkische nicht in
den Gesichtern selbst liegt, sondern im Dekor, in der Rhetorik der
Trachten und Landschaften, in die die Porträts eingewoben sind. Zur
gleichen Zeit fotografiert Tita Binz in Berlin die Schauspieler der Ufa
und den melancholischen Karl Valentin in ganz unheldischen, intimen,
aus der Sachlichkeit von Weimar herübergeretteten Arrangements, und
wäre Hitler nicht Reichskanzler geworden, könnte man Heinrich Hoffmanns
Aufnahmen von ihm noch immer für Bewerbungsunterlagen eines
zweitklassigen Herren- und Festrednerdarstellers halten.
Neu ist der selbstbewußt reflektierende Blick
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Heinrich Böll (1917 - 1985), München, 1960; Neuabzug 1996
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In der Nachkriegszeit
angekommen, zeigt die Ausstellung vor allem, wie die Welt sich
wiederholt. Die Politikerbilder der Weimarer Zeit setzen sich fort in
denen der Bonner Republik. Stefan Moses aktualisiert in seinen
„Porträts der sechziger Jahre” und der Wiedervereinigungsserie
„Abschied und Anfang” die Ideen August Sanders. Helga Paris und Gundula
Schulze-Eldowy fotografieren die Ausgestoßenen der DDR. Neu sind nicht
die Sujets und ihre Gestaltung, neu ist der selbstbewußt reflektierende
Blick, mit dem auch unberühmte Menschen in die Kamera schauen.
Nicht
nur die Belichtungszeit, auch der Abstand zwischen dem Individuum und
dem Bild, in dem es sich erkennt, hat sich verkürzt. Aber ein Abstand
bleibt. Die ostdeutsche Kleiderverkäuferin, deren Lebensweg die
Fotografin Angelika Kampfer seit 1990 dokumentiert, scheint sich in die
Tiefe des Jeansgeschäfts zurückziehen zu wollen, in dem sie arbeitet.
Fotografie ist eben nicht das ganze Leben, sie hält es nur für einen
Augenblick an.
Wie Szenarien einer inneren Unruhe
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Joseph (Joschka) Fischer (geb. 1948), um 1985
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Der zweite Teil der
Doppelschau, der sich dem Bonner Fotografen Theo Schafgans und seinem
Sohn Hans widmet, ist in wesentlichen Teilen eine Übernahme der
Schafgans-Ausstellung des Rheinischen Landesmuseums Bonn aus dem
vergangenen Jahr. Auch hier sind Porträts aus hundert Jahren, Bilder
von bekannten und unbekannten Zeitgenossen und sogar Landschafts- und
Architekturfotos in bunter Folge hintereinander gehängt.
Aber
diese Ausstellung hat im Vergleich zu ihrem generalisierenden Pendant
den unschätzbaren Vorteil, daß sie eine Geschichte erzählt. Denn Theo
Schafgans, dessen Jugendporträt von 1908 eines der ersten Exponate ist,
mußte seine Familie vor der Gestapo verstecken, weil seine Ehefrau
Jüdin war. Seine Landschaftsfotografien aus den späten dreißiger Jahren
wirken wie Szenarien einer inneren Unruhe, die sich durch
Menschengesichter nicht mehr mitteilen kann.
Als Aristokratie der Demokratie
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Thomas Mann (1875 - 1955), 1946; Neuabzug vor 2000
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Nach 1945 kehrt Schafgans
nicht mehr zur Weichzeichner-Ästhetik seiner Porträts aus der
Vorkriegszeit zurück. Mit Theodor Heuss beginnt die lange Reihe von
Bonner Politikern, die er in entspannt-eleganter Pose ablichtet, als
Aristokratie der Demokratie. Sein Sohn Hans setzt alsbald die Arbeit
des Vaters fort. Neben Kanzlern und Ministern fotografiert er auch
kulturelle Berühmtheiten, Opernsängerinnen, Komponisten, Autoren.
Eine
Aufnahme von 1978 zeigt den Schriftsteller Jean Amery. Sein Kopf ist
leicht zur Seite gedreht, erst auf den zweiten Blick bemerkt man, daß
seine Augen unter den schweren Lidern den Betrachter fixieren. Was
sehen sie? Was sieht man in ihnen? Ein gelungenes Porträt bleibt immer
unbestimmbar wie der Mensch, den es zeigt. Aber die Frage, die es
stellt, schwingt noch lange in der Erinnerung nach.