Konrad Adenauer (1876 - 1967), Bundeskanzler, 1950
Deutsches Historisches Museum
Spiegelbild im verborgenen Auge
Von Andreas Kilb

29. Dezember 2005 Die Geschichte der Porträtfotografie ist die Geschichte zweier Blicke, die sich kreuzen. Der eine gehört dem Fotografen, der andere dem Menschen, den er porträtiert. Aber nur der Blick des Porträtierten erscheint im fertigen Bild, das Auge des Fotografen bleibt unsichtbar, es verhüllt sich in der Aufnahme selbst. Die Gesichter auf den Porträtfotografien schauen zurück, doch den Blick, den sie erwidern, muß die Vorstellungskraft des Betrachters ergänzen. In diesem Spiel der Phantasie liegt einer der Reize von Fotoausstellungen. Das geglückte Porträtfoto ist mehr als ein Dokument, es ist der Ausdruck eines ästhetischen Bewußtseins, das sich im Abbild selbst porträtiert.

Die Doppelausstellung „Das Porträt im XX. Jahrhundert”, in der das Deutsche Historische Museum Berlin Fotografien aus seiner eigenen Sammlung mit einer Hommage an das Bonner Atelier Schafgans kombiniert, beginnt mit Familienfotos aus der deutschen Kaiserzeit. Man sieht Babys, Kleinkinder, Konfirmanden, Soldaten, Hochzeitspaare, Eheleute samt Nachwuchs und Greise, die für die Kamera strammstehen und -sitzen, immer in den gleichen Posen, mit oder ohne Requisit, im schrägen Licht der Ateliers. Strenggenommen haben diese Aufnahmen in der Ausstellung nichts zu suchen.

Bilder, in denen man ein Leben lesen kann

Willy Brandt (1913 - 1992), Parteivorsitzender der SPD, 1976

Es sind keine Porträts, sondern Repräsentationsbilder, in Massenfertigung entstanden, Paßfotos von damals. Was es bedeutet, ein Individuum, selbst ein unreifes, zu porträtieren, erkennt man dagegen einige Stellwände weiter in den Fotografien, die Katharina Vogel im Jahr 1990 von Heimkindern aus der DDR gemacht hat. Wut, Trotz und Hoffnung malen sich auf jedem dieser Jungengesichter in je verschiedener Mischung und Färbung, und die Haltung der Oberkörper setzt die Rede des Mienenspiels fort. Es sind Bilder, in denen man ein Leben lesen kann, wie in allen Porträts, die diesen Namen verdienen.

Von Katharina Vogels Aufnahmen fällt der Blick zurück auf ein erstaunliches Familienfoto, das vor 1914 im Atelier Selle, Kuntze und Niederastroth von dem deutschen Kaiser Wilhelm II. und seinem Enkel Prinz Louis Ferdinand entstand. Es zeigt die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, eines vormedialen und eines unverkrampft medialen Bewußtseins. Denn während Wilhelm trotz aller Bemühung, sich einen familiären Anstrich zu geben, nicht aus seiner Herrscherpose herauskommt, lehnt sein Enkel so locker und unprinzlich am kaiserlichen Großvater wie ein Sechsjähriger von heute.

Imposanz großer Themen und Zeiträume

Richard von Weizsäcker (*1920), Bundespräsident, 1984

Knapp fünfzig Jahre später stellt sich in Paris der kurz vor dem literarischen Durchbruch stehende Günter Grass mit seinem kleinen Sohn in einem ähnlichen Arrangement vor die Kamera. Hier ist es, in einer interessanten Umkehrung der Blickhierarchie, wieder der Vater, der die Aufnahme dominiert; er zieht den Sohn ins Bild, aus dem dieser zu entfliehen versucht. Die Hand, die den Jungen umfaßt, soll zärtlich wirken, aber ihr Griff ist entschlossen und fest.

Dies ist nicht die erste Ausstellung im DHM, deren Konzeption hinter den gezeigten Exponaten zurückbleibt. Wieder einmal setzt das Museum auf die Imposanz großer Themen und Zeiträume, um einen Überblick zu suggerieren, der in der Präsentation dann in viele kleine Fußnoten und Apercus zerrinnt. Das zwanzigste Jahrhundert ist ein weites Feld, auf dem sich viele Ästhetiken und Ideologien tummeln, von denen man in der Berliner Schau immer nur ein Zipfelchen zu sehen bekommt. Was man etwa aus einer Fokussierung auf die Zeit vor 1945 hätte machen können, zeigt die Gegenüberstellung einiger Porträts von August Sander aus den zwanziger Jahren mit den wenig später entstandenen Reportagefotos von Walter Ballhause.

Von Provinz zu Provinz für die Nazis

Gert Fröbe (1913 - 1988), Schauspieler, 1979

Während Ballhause die Verlierer der Gesellschaft - einen Kriegsversehrten, eine alte Weberin - dort porträtiert, wo er sie auf den Straßen Hannovers findet, inszeniert Sander die Maler Otto Dix und Anton Räderscheidt als Gestalten eines zeitgenössischen Großstadtfilms. In beiden Fällen triumphiert das Typische, aber bei Sander wirkt es wie eine Rolle, nicht wie ein Schicksal; es hat einen Beigeschmack von Ironie. Ein ganz anderes Aroma weht aus den Bildfolgen von Erna Lendvai-Dirksen, die in den dreißiger Jahren „Das deutsche Volksgesicht” von Provinz zu Provinz für die Nazis durchfotografierte.

Wenn man länger hinsieht, entdeckt man freilich, daß das Völkische nicht in den Gesichtern selbst liegt, sondern im Dekor, in der Rhetorik der Trachten und Landschaften, in die die Porträts eingewoben sind. Zur gleichen Zeit fotografiert Tita Binz in Berlin die Schauspieler der Ufa und den melancholischen Karl Valentin in ganz unheldischen, intimen, aus der Sachlichkeit von Weimar herübergeretteten Arrangements, und wäre Hitler nicht Reichskanzler geworden, könnte man Heinrich Hoffmanns Aufnahmen von ihm noch immer für Bewerbungsunterlagen eines zweitklassigen Herren- und Festrednerdarstellers halten.

Neu ist der selbstbewußt reflektierende Blick

Heinrich Böll (1917 - 1985), München, 1960; Neuabzug 1996

In der Nachkriegszeit angekommen, zeigt die Ausstellung vor allem, wie die Welt sich wiederholt. Die Politikerbilder der Weimarer Zeit setzen sich fort in denen der Bonner Republik. Stefan Moses aktualisiert in seinen „Porträts der sechziger Jahre” und der Wiedervereinigungsserie „Abschied und Anfang” die Ideen August Sanders. Helga Paris und Gundula Schulze-Eldowy fotografieren die Ausgestoßenen der DDR. Neu sind nicht die Sujets und ihre Gestaltung, neu ist der selbstbewußt reflektierende Blick, mit dem auch unberühmte Menschen in die Kamera schauen.

Nicht nur die Belichtungszeit, auch der Abstand zwischen dem Individuum und dem Bild, in dem es sich erkennt, hat sich verkürzt. Aber ein Abstand bleibt. Die ostdeutsche Kleiderverkäuferin, deren Lebensweg die Fotografin Angelika Kampfer seit 1990 dokumentiert, scheint sich in die Tiefe des Jeansgeschäfts zurückziehen zu wollen, in dem sie arbeitet. Fotografie ist eben nicht das ganze Leben, sie hält es nur für einen Augenblick an.

Wie Szenarien einer inneren Unruhe

Joseph (Joschka) Fischer (geb. 1948), um 1985

Der zweite Teil der Doppelschau, der sich dem Bonner Fotografen Theo Schafgans und seinem Sohn Hans widmet, ist in wesentlichen Teilen eine Übernahme der Schafgans-Ausstellung des Rheinischen Landesmuseums Bonn aus dem vergangenen Jahr. Auch hier sind Porträts aus hundert Jahren, Bilder von bekannten und unbekannten Zeitgenossen und sogar Landschafts- und Architekturfotos in bunter Folge hintereinander gehängt.

Aber diese Ausstellung hat im Vergleich zu ihrem generalisierenden Pendant den unschätzbaren Vorteil, daß sie eine Geschichte erzählt. Denn Theo Schafgans, dessen Jugendporträt von 1908 eines der ersten Exponate ist, mußte seine Familie vor der Gestapo verstecken, weil seine Ehefrau Jüdin war. Seine Landschaftsfotografien aus den späten dreißiger Jahren wirken wie Szenarien einer inneren Unruhe, die sich durch Menschengesichter nicht mehr mitteilen kann.

Als Aristokratie der Demokratie

Thomas Mann (1875 - 1955), 1946; Neuabzug vor 2000

Nach 1945 kehrt Schafgans nicht mehr zur Weichzeichner-Ästhetik seiner Porträts aus der Vorkriegszeit zurück. Mit Theodor Heuss beginnt die lange Reihe von Bonner Politikern, die er in entspannt-eleganter Pose ablichtet, als Aristokratie der Demokratie. Sein Sohn Hans setzt alsbald die Arbeit des Vaters fort. Neben Kanzlern und Ministern fotografiert er auch kulturelle Berühmtheiten, Opernsängerinnen, Komponisten, Autoren.

Eine Aufnahme von 1978 zeigt den Schriftsteller Jean Amery. Sein Kopf ist leicht zur Seite gedreht, erst auf den zweiten Blick bemerkt man, daß seine Augen unter den schweren Lidern den Betrachter fixieren. Was sehen sie? Was sieht man in ihnen? Ein gelungenes Porträt bleibt immer unbestimmbar wie der Mensch, den es zeigt. Aber die Frage, die es stellt, schwingt noch lange in der Erinnerung nach.


Bis zum 9. April 2006. Die Kataloge kosten je 25 Euro.

Text: F.A.Z., 29.12.2005, Nr. 303 / Seite 31
Bildmaterial: Schafgans Archiv , Schafgans Archiv, DHM, Rheinisches LandesMuseum Bonn
Artikel-Service 
Fenster schließen
Artikel drucken
© F.A.Z. Electronic Media GmbH 2001 - 2006
Dies ist ein Ausdruck aus www.faz.net